Die Mordnacht von Hanau wirft immer noch Fragen auf: Warum hatte der Täter Tobias R. immer noch Waffen, obwohl er schon vor der Tat mehrfach psychisch auffällig geworden war? Warum funktionierten Notrufe und ein Notausgang nicht so, wie sie es hätten tun sollen? Alles Fragen, die die Angehörigen der neun Ermordeten stellen, weil sie vermuten, dass bei anderem Handeln der Behörden ihre Liebsten eventuell noch am Leben sein könnten. Diese und weitere Fragen nach dem rassistischen Hintergrund des Täters beschäftigte eine Mahnwache am 18 Februar in der Delmenhorster Innenstadt, einen Tag bevor sich die Bluttat von Hanau zum dritten Mal jährte.
Das „Breite Bündnis gegen Rechts“, die Jusos, das Kinder- und Jugendparlament und der Türkische Arbeiterverein sowie 40 Teilnehmer*innen trotzten Wind und unfreundlichem Regen und gedachten in ihren Reden der Toten. Sie mahnten, dass solche Untaten sich wiederholen könnten, wenn nicht entschieden gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus vorgegangen werde. So wies die Rednerin der Jusos, Marwa Mari, darauf hin, dass der Vater des Täters Hans-Gerd R. noch immer die Familie des Getöteten Ferhat Unvar belästigt und Platzverbote der der Behörden nicht einhält. Er will so die Familie einschüchtern, weil er die Mordtat seines Sohnes leugnet. Er ist wie sein Sohn getrieben von Verschwörungserzählungen und von einem Rassismus, der die Taten seines Sohnes erst ermöglichte. Der Vertreter des Türkischen Arbeitervereins, Vahit Oflazoglu, wies auf den strukturellen Rassismus in unserer Gesellschaft hin, der auch einige Behörden betreffe. Gerade in Hessen seien in den letzten Jahren immer wieder rechtsextreme Chatgruppen in der Polizei aufgedeckt wurden.
Die Rednerin des Kinder und Jugendparlaments verurteilte den Anschlag und die damit verbundene rechte Gewalt ebenfalls auf das Schärfste. Es wurde betont, dass es die enge Verbindung von Verschwörungsideologien mit rassistischen Weltansichten war, „weshalb der Täter Krieg gegen Menschen mit einem Migrationshintergrund führte“.
Hans-Joachim Müller vom Breiten Bündnis gegen Rechts verwies auf rechtsextreme und ausländerfeindliche Begebenheiten in Delmenhorst und Umgebung in den letzten Jahren. Erst vor kurzem, am 31.12.2022, fand ein Mitarbeiter des Landkreises Oldenburg mehrere Flaschen mit einer brennbaren Flüssigkeit auf dem Gelände einer zukünftigen Geflüchtetenunterkunft in Wildeshausen. Landkreis und Polizei betrachten diesen Umstand als Drohung gegen die Einrichtung einer Unterkunft für Geflüchtete. Müller wertete dies als einen Beleg, dass ausgrenzende und gewalttätige Aktionen gegen Migrant*innen sich nicht nur in den Ländern im Osten der Republik ereignen, sondern auch in Delmenhorst und Umgebung.
Eine weitere Mahnung betraf das rassistische Denken in einigen Teilen der Bevölkerung. Tobias R. hing diversen Verschwörungserzählungen und sprach ferner von einer „ständigen Ausländerkriminalität“ und „Hochverrat“ an den Deutschen. Aus diesen Motiven entwickelte er einen Blutrausch gegen Menschen mit einem Migrationshintergrund. Auf den Telegramseiten, die sich im Zuge der Coronaproteste des letzten Jahres auch in Delmenhorst gebildet haben, sieht man den Nährboden solcher Taten: Ausländerfeindlichkeit paart sich hier mit allen erdenklichen Formen von Verschwörungserzählungen in einer aggressiven Form, die sich ständig zu steigern scheint. Eine zunehmende Anzahl von Reichsbürger*innen fabulieren zudem auch in der Delmestadt von einem neuen Staat, in dem Migrant*innen aufgrund der fehlenden deutschen „Ahnennachweise“ keinen Platz mehr haben sollen.
Ole Günther vom Breiten Bündnis gegen Rechts rief abschließend dazu, dass alle Delmenhorster Bürger sich Rassismus und Ausländerfeindlichkeit in ihrem Umfeld entschieden entgegen stellen sollten.